„Rössli“ Seewen: Bäderzellen nur noch Geschichte

„Rössli“ Seewen: Bäderzellen nur noch GeschichteWeiteres Relikt aus der „guten alten Zeit“ von „Bad Seewen“ wurde abgerissen

In Seewen gehört seit Anfang Dezember ein weiteres Kapitel zur Dorfgeschichte; der Badetrakt des ehemaligen Hotels ‚Rössli’ wurde abgerissen. Es folgt kein Neubau. Damit ist ein letzter Zeuge aus der Zeit von ‚Bad Seewen’ endgültig verschwunden. Zur Blütezeit konnte das Haus rund 90 Gäste beherbergen. Bekannt wurde das ‚obere Bad Rössli’ wegen seiner Mineral-Bäder. Aus halb Europa kamen Würdenträger und andere Persönlichkeiten nach Seewen, um in der intakten Landschaft zu kuren und vor allem zu baden. Heute ist das für Kur- und Feriengäste nur noch im See möglich. Aber auch das war nicht immer so.

Von Peter Rickenbacher

Was viele nicht wissen: Seewen war während über 200 Jahren – von etwa 1720 bis 1935 ein ganz berühmter Bade- und Kurort. Lange Zeit trug das Dorf sogar den Zusatz ‚Bad’ im Ortsnamen. Durch wen und wann genau ‚Bad Seewen’ schliesslich entdeckt bzw. gefördert wurde, lässt sich heute kaum mehr eruieren. Fest steht lediglich, dass in immer wieder neuen Zeitepochen das kalte, stark mineralhaltige Wasser einer gesundheits-bewussten Kundschaft angepriesen wurde.

Einmalig schöne Gegend Zur Blütezeit des Bäder-Dorfes – das war etwa um 1850 – konnten in rund einem halben Dutzend Badhotels einige hundert Kurgäste aufgenommen werden. Besonders beliebt war bei den Gästen nicht nur das Bad im stark mineralhaltigen Wasser in den verschiedenen Badehäusern und später dann auch im See, sondern auch das ganze drum herum. So etwa warb man für Molke-Kuren, dann für Luft-Kuren, auch mit der hübschen Wallfahrtskapelle, dann mit der Inspiration der romantischen Naturgegend, die Zitat „sozusagen mit jedem Schritt ihre Szenen auf die mannigfaltigste Art verändert“. Gemeint war das Sammelsurium von Fels, Wald, Feld, Alleen und See, welches in ‚Bad Seewen’ pointiert zusammentraf und als ‚einzigartig’ umschrieben wurde.

 

‚Rössli’, das eine Grosshotel… Aus überlieferten Aufzeichnungen geht hervor, dass zwei grosse Hotelanlagen über Jahrzehnte das Dorf nachhaltig prägten und von grosser wirtschaftlicher Bedeutung waren. In einem Reiseführer von 1886 wurde unter ‚Bäder und Kurorte der Schweiz’ zu Seewen festgehalten: „Seewen, Hotel-Pension Rössli (propr. Familie Beeler), stattliche bürgerliche Häuser mit der Hauptfront nach Westen gegen den See, nebst hübschem neuem Chalet und zwei Badehäusern: 65 gute Logierzimmer (90 Betten), geräumiger Speisesaal und Konversationszimmer mit Lesestoff und Piano. 12 Badekabinette mit 27 Wannen, und neuen Doucheeinrichtungen. Auch Seebäder. Pension (guter Tisch, Frühstück, Mittagessen, Abendbrot und Nachtessen) mit Zimmer 5 ½ – 7 ½ Fr. (II. Tafel 4 ½ – 5 Fr.). Die Mineralbäder 60 Cts. bis 1 Fr. Kuh- und Ziegenmilch und Molken die Woche 1 – 2 ½ Fr. Zwei ganz nahe grosse Gärten (der eine mit Pavillon, der andere mit langer Reblaube) und ein köstlicher Wiesenplan mit alten Nussbäumen bieten zahlreiche Schattenplätze; ein dem Hotel zugehöriges nahes Tannenwäldchen ist mit zahlreichen Wegen und Ruhebänken versehen. – Arzt: Dr. Schönbächler von Schwyz.“

…und ‚Sternen’, das andere Badhotel Im gleichen Reiseführer wurde das zweite grosse Hotel beschrieben: „Näher gegen Schwyz einige hundert Schritte höher: Hotel-Pension zum Sternen (propr. Familie Fuchs), ein ähnlicher Bau mit hübschem Garten und Pavillon; enthält 35 Logierzimmer (60 Betten), einen grossen Speisesaal (mit Prachtblick auf den nahen Rigi und in die Urner und Schwyzer Berge) und 12 Badekabinette mit 20 Wannen, Dampfbad und Douchen (Mutterdouchen nach neuestem System). Pension mit Zimmer 4 ½ – 5 ½ Fr.; Bäder ½ Fr.; 12 Karten 3 Fr.; Douche- oder Dampfbad 1 Fr. Arzt: Dr. Real.“

Aber auch andere Häuser warben in dieser Zeit mit ‚Bäder-Arrangements’. So die Sonne (später Seehof), dann das Gasthaus Kreuz, das Schultheissen-Urquellbadhaus (unteres Rössli), das Badhaus im Schornohof, die Pension Auf der Maur (heute Eichhof) und andere kleinere.

Rasches Ende der Bäder-Zeit Durch die Industrialisierung und vor allem die Führung der SBB-Linie mitten durch das lauschige Dorf wurde der rasche Niedergang von ‚Bad Seewen’ eingeläutet. Die Kurgäste mieden das durch dampfende, lärmige Lokomotiven geplagte Bäderdorf. Der staubige Steinbruchbetrieb im ‚Zingel’ ab 1902 störte die Ruhe der letzten Feriengäste zusätzlich, der aufkommende Automobilverkehr mitten durch das Dorf am Weg zum Gotthard setzte dann noch ganz den endgültigen Schlusspunkt unter die Bäder-Epoche im Dorf. Ueberlebt haben den Untergang dieser ‚guten alten Zeit’ zahlreiche Ansichtskarten, Stiche, Bilder und Gemälde, Aufzeichnungen und Ueberlieferungen, auch Werbeschriften. Bis heute geblieben sind nur noch wenige alte Bauten, deren Zukunft an der stark immissionsträchtigen Lage – vor allem in Unterseewen – sehr ungewiss ist.

Als das Baden im See noch ein Aergernis war… In den Bäderprospekten von ‚Bad Seewen’ sind immer wieder Hinweise auf das Baden im Lauerzersee enthalten. In ehemals landschaftlich herrlicher Umgebung – heute leider aufs Schlimmste verschandelt durch Steinbruch, Eisenbahn, Autobahn und Industriebauten – hatten die angenehmen Wassertemperaturen in den Sommermonaten ihren besonderen Reiz. Schon seit Urzeiten sprechen die Aerzte der Region auch dem Seewasser heilende Kräfte zu. Das Baden aber in öffentlichen Gewässern nach Lust und Laune, wie wir es heute tun, war nicht immer eine Selbstverständlichkeit. So ist festgehalten: „Am 4. Juli 1780 wurde Pfarrer Strüby von Schwyz ersucht, dahin zu wirken, dass im Kirchgang Schwyz sowohl durch Christenlehre als Predigt dem ärgerlichen Baden möchte abgeholfen werden.“ Und weiter am 5. August 1793: „Die Behörden sollen öffentlich publizieren, dass alles Baden unter freiem Himmel und in offenen Gewässern bei einer Dublone Busse verboten sei.“ Noch 1818 machte Pfarrer Fassbind von Schwyz in Predigten auf das Verbot des Badens in der Seewern und im Seemattli (westlich der heutigen Badi) aufmerksam. Erst 1853 kam der Sinneswandel; durch die Grundsteinlegung eines Männerbades am heutigen Standort der ‚Badi’ wurde das Baden im See ehrbar… Bis heute hat sich daran – glücklicherweise – nichts mehr geändert!

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Ein imposanter Komplex: im Badhotel ‚Rössli’ in Seewen logierten während rund 200 Jahren Kur- und Feriengäste.

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Ein letzter Blick auf die idyllische Häusergruppe mit dem Bädertrakt des ‚Rössli’ links.

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Ein erstes grosses Loch klafft ins ‚Rössli’: Die Bäderzellen im Parterre sind noch unbeschädigt.

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Für wenig Doublonen pilgerten zu Zeiten von ‚Bad Seewen’ tausende Kurgäste nach Seewen, um im stark mineralhaltigen Badwasser zu kuren. Seit 1935 standen die Bad-Kabinen im ‚Rössli’ leer.

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Wehmut des kleinen Mythen im Hintergrund: im Abendrot wurde der ‚Rössli’-Bädertrakt abgebrochen.