Als noch Schnaps gebrannt und gleich daneben getrunken wurde…

In Seewen wurden weitere Gebäude aus dem 19. Jahrhundert abgerissen: Das Hotel „St. Gotthard“ und das Brennereigebäude Schindler/Landtwing

In Seewen wird gegenwärtig viel gebaut. Vor allem entlang der Bahnhofstrasse wird man sich in naher Zukunft an einige neue Bauten gewöhnen müssen. Es ist nicht Wiesland, das dem Fortschritt geopfert wird. Viele Neubauten entstehen dort, wo schon bisher ‚gewirtschaftet’ wurde. Was heisst, Altes muss Neuem weichen. Und bei jedem Abbruch geht natürlich auch ein Stück Dorfgeschichte verloren. Nachfolgend eine ‚Hommage’ an zwei geschichtsträchtige Bauten an der Seebner Bahnhofstrasse.

Von Peter Rickenbacher

Es tut sich ein riesiges Loch auf zwischen dem Restaurant Rosengarten an der Seebner Bahnhofstrasse und dem Bahnhofplatz. Die Coop Mineralöl AG und die Auto Heinzer AG werden auf einer Parzelle von fast 2’400 Quadratmetern eine Coop-Tankstelle mit Shop sowie eine Auto-Ausstell-Überdachung realisieren. Bald also wird dort Benzin getankt, wo noch 1980 das letzte mal ‚Sprit’ in Form von alkoholischen Getränken getankt wurde…

Hotel St. Gotthard
Insgesamt wurden der anstehenden Überbauung fünf Gebäude geopfert: Das dominante Haus ‚Hotel St. Gotthard’ gleich an der Bahnhofstrasse, das dazugehörende Ökonomiegebäude, ein kleinerer Lagerschuppen, und dann das schräg dahinter liegende, leicht zurückversetzte Schnapsbrennereigebäude Schindler/Landtwing sowie eine Scheune. Das geschichtsträchtigste von allen diesen Häusern ist wohl das Hotel ‚St.Gotthard’. Es wurde im Jahre 1883 – des Baus der Gotthardbahn – erstellt. Darauf hin weist der Annexbau, in welchem früher ein einfaches ‚Massenlager’ für Arbeiter jeder Berufsgattung untergebracht war. Die Massenunterkunft könnte mit ein Grund für den Bau des Gebäudes gewesen sei. Die Nähe zur Bahnlinie untermauert diese Vermutung. In seiner Form blieb das Haus (bis auf einen strassenseitigen Balkon, der aus Sicherheitsgründen abgebrochen wurde) mehr oder weniger über alle Jahrzehnte seiner Existenz erhalten. Auch sein Zweck: es wurde darin gewirtet. Und wie es früher in Gasthäusern üblich war: auch Kolonialwaren wurden verkauft.

Verkauf von Kolonialwaren
In einem eingegliederten Verkaufsraum bot die Wirtefamilie allerlei Alltagsgegenstände zum Kauf an. So eben auch im ‚Gotthard’. Bis 1960 wurde das Kolonialwaren-Lädeli offen gehalten. Danach fiel es in einen ‚Dornröschenschlaf’. Gewirtet wurde aber weiterhin. Die letzte Wirtin war Albertine Schuler, eine Tante von Marco Schuler-Küttel (heute Küssnacht). Bis zu ihrem Tod im Jahre 1980 hielt sie ihr ‚Beizli’ offen und bot ihre Hausspezialitäten (‚Italiener’-Wein und hausgemachte Busecca) ihrer Kundschaft an. Im Beizli tatkräftig unterstützt wurde sie von ihrem Bruder Dominik Schuler-Blum, Marco’s Vater. Auch Mutter und Schwägerin Elisabeth hatte ihre Aufgaben. In den Jahren vor Albertine wirteten ihre Eltern (Dominik und Albertina Schuler-Fässler). Das Ehepaar hatte den ‚Gotthard’ vermutlich um die Jahrhundertwende übernommen. Diese Wirtsleute Schuler wiederum hatten ihre Wurzeln in Schwyz an der Herrengasse im Hause ‚St. Antoni’, das später den Namen ‚Hotel du Cerf = Hirschen) trug. Dominik war ein Sohn der ‚Hirschen’-Wirtefamilie. Heute befindet sich das Tabati-Lädeli in genanntem Gebäude.

Letztes ‚Aufblühen’ des ‚St. Gotthard’
Den letzten grösseren Auftritt hatte der ‚St. Gotthard’ im Jahre 1991, dem Jubiläumsjahr der Eidgenossenschaft. Im Rahmen des Kultur-Projektes ‚Schwyz 1 : 1’ wurde unter Führung der Kulturkommission der Gemeinde Schwyz nochmals ‚gewirtet’. An vier Wochenenden wurde das nostalgische Beizli für das Publikum hergerichtet und von Freiwilligen geführt. Letztmals konnte die Bevölkerung in der Wirtschaft oder unter den drei Kastanienbäumen im Garten an der (lauten) Bahnhofstrasse in Erinnerungen schwelgen und diskutieren. Das Kolonialwarenlädeli wurde – bestückt mit einigen wenigen anderen Gegenständen – nochmals entstaubt und ebenfalls geöffnet. Wahrhaftig: dem Betrachter bot sich ein Blick in eine andere Welt! Fein-säuberlich ausgestellt war von der alten Kern-Seife über die Stahlwatte für den alten Parkettboden bis hin zum Maggi-Suppenwürfel das volle Sortiment der damaligen modernen Zeit! Das Lädeli wurde im Anschluss an die Ausstellung Ende 1991 vom Schweizerischen Landesmuseum gekauft und im Dachgeschoss (Raum 36) im Schloss Prangins – der welschen Aussenstelle des Museums – als Zeitzeuge und Anschauungsbeispiel eines Kolonialwaren-Ladens aus der Jahrhundertwende wieder aufgestellt.

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Erster Jugendtreff der Region

Eine spezielle Erwähnung verdient noch die Annexbaute, wo früher das Massenlager untergebracht war. Das Gebäude wurde leicht umfunktioniert und darin ein Musik-Probelokal eingerichtet. Das sprach sich schnell bei der damaligen Jugend herum: das mit rosarot und schwarzen Farben verschönerte ‚Jugendlokal’ des ‚Salad-Club’ – so nannten die Benutzer ihren Proberaum – diente vor allem anfangs der 1970er-Jahre zahlreichen Jugendlichen aus der Region als Ziel ihres Ausgangs. Unter Mitwirkung von Marco Schuler, Spross aus der ‚St.-Gotthard’-Wirtefamilie, verkehrten dort zahlreiche Persönlichkeiten und planten dort ihre ‚Karrièren’. Zu den erfolgreichen ‚Aufsteigern’ gehörten Jacques Eichenberger und Alfred Neff (später wurden beide Präsidenten des örtlichen Einwohnervereins), Beatrice Aschwanden (Miss Schweiz), Astrid Schuler-Zwimpfer (Jodlerin), Norbert Stocker und viele andere. Im ‚St. Gotthard’ wurde also auch diesbezüglich Geschichte geschrieben…

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Die Brennereigebäude Schindler/Landtwing

Etwas zurückversetzt, aber nicht minder dominant, stand früher das längliche Brennereigebäude Landtwing. Eigentlich war es das Brennereigebäude Schindler, denn Bauherr war um 1895 Alfred Schindler, dessen Nachname heute für die weltbekannte Aufzugsfirma mit Sitz in Ebikon bei Luzern steht. Aber wieso denn Landtwing, mag sich der Leser fragen. Ein Blick in die Familiegeschichte gibt Aufschluss.

Die Geschichte des Brennereigebäudes beginnt bei den beiden Schwyzer Arztsöhnen Alfred (1847-1929) und Robert (geb. 1850-1920) Schindler. Robert war ein begabter Techniker und Gründer der Schindler AG, Aufzüge und Elektromotoren. Er war kinderlos, und so übernahm der Sohn seines Bruders Alfred, der ebenfalls Alfred heisst, jene Firma. Er ist der heutige Verwaltungsratspräsident der Schindler Aufzüge in Ebikon, Alfred N. Schindler. (Heute noch steht einer der ersten Aufzüge des begabten Technikers in einem Annexgebäude in Seewen). Der andere Arztsohn, Alfred Schindler (der ältere Bruder Roberts), war begabter Kunstmaler und Kirschbrenner. Er heiratete Berta Schuler vom ‚Hotel du Cerf’ in Schwyz, deren Schwester Caroline ihrerseits mit dem angesehenen Schwyzer Apotheker Nazar Felchlin (gest. 1891) verheiratet war. Weil sie sich gut verstanden und eben verwandtschaftlich verbunden waren, gründeten Schindler und Felchlin zusammen die Firma ‚Kirschdestillation Schwyz’. Das Geschäft florierte in der Folge.

Fehlende Nachfolge, Verkauf der Firma
Durch das Ableben von Nazar Felchlin entstand eine neue Situation: Witwe Caroline Felchlin-Schuler entschied, die Firma zu übernehmen. Darüber war Alfred Schindler gar nicht glücklich. Postwendend gründete er daher seine eigene Firma, die fortan ‚Kirsch-Destillation A. Schindler’ hiess und in Schwyz produzierte. In diese Zeit fällt der Bau des Brennereigebäudes an der Bahnhofstrasse, in welchem kurze Zeit später die feinen Destillate gebrannt und vertrieben wurden. Speziell an Schindlers Produkten waren die Flaschen-Etiketten, die er selbst kreierte. Er hatte schliesslich eine sehr kreative, künstlerische Ader. Die war übrigens in seiner Familie recht stark; so stark, dass keiner seiner Söhne das Brennereigeschäft übernehmen wollte, weshalb sich Alfred Schindler zum Verkauf seiner Firma an die Gebrüder von Reding entschied. Jahre später verkauften diese dann die Firma an die Familie Landtwing. Diese wiederum verkaufte anfangs der 1980er Jahre den Brennereibetrieb bzw. das Handelsgeschäft. Das stattliche Gebäude diente in der Folge während fast 20 Jahren lokalen Gewerbetreibenden.

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Ein letzter Blick auf das Häuser-Ensemble ‚Destillerie Schindler/Landtwing’ (links) und ‚Hotel St. Gotthard’ in Seewen. An dessen Stelle wird eine Gesamt-Überbauung mit Tankstelle und Auto-Ausstell-Halle realisiert.

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Die letzten zwei Zeugen einer Seebner Gewerbe-Geschichte: zwei grosse Kirsch-Tanks auf dem ‚Schnaps-Areal’ an der Bahnhofstrasse. Im Hintergrund fast neckisch die beiden Mythen.


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1980, wurde hier zum letzten Mal gekocht. Wie viele Liter Busecca bereitete ‚St. Gotthard’-Wirtin Albertine Schuler wohl Zeit ihres Lebens zu?


impg0238 (4)Ehemals ein ‚Massenlager’ für die Gotthardbahn-Arbeiter, dann Lagerraum und schliesslich das Club-Lokal des ‚Salad-Club’: der Schuppen rechts im Bild kurz vor seinem Abriss.

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Der Abriss des Brennereigebäudes Schindler/Landtwing wirbelte viel Staub auf.

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Ebenfalls historisch: eine Kirsch-Musikdose mit tanzender Ballerina der Firma Landtwing/Schwyz.