Portrait von Seewen

Vom Fischer- und Bauerndorf zum Vorort des Hauptortes Schwyz

„Guete Taag!“ in Seewen!
Wer sich heute mit den Verkehrsmitteln nach Schwyz, in den Hauptort des gleichnamigen Kantons begibt, kommt zwangsläufig mit dem Vorort Seewen in Berührung. Der Grund ist einfach: das Dorf am Lauerzer See hat sich aufgrund seiner geographischen Lage auf der Nord-Süd-Achse (Basel – Chiasso) nach und nach zum ‚Verkehrsknotenpunkt’ (Abb. 2) der Gemeinde Schwyz entwickelt. Der Bahnhof der SBB befindet sich mitten im Dorf, auch der Autobahnanschluss der Gemeinde Schwyz findet sich am westlichen Dorfrand von Seewen ebenso wie die Verbindung aus dem und in den Wirtschafts-Grossraum Zürich, welche via H8 über das Gebiet ‚Kaltbach’ auf Seewner Boden führt. Kurzum: wäre Seewen auf der Landkarte ein ‚Loch’, dann wäre Schwyz nur mehr sehr schwerlich zu erreichen. Der Nord-Süd-Verkehr müsste vollständig via ‚Rigi Süd’ vonstatten gehen. Aber eben, was wäre wenn…

Uebersicht Seewen vom Urmiberg  Übersicht Seewen Winter

Seewen – seine geographische Lage
Eingebettet liegt Seewen im schönen Talkessel von Schwyz, zwischen Lauerzersee und dem Urmiberg als Teil des gesamten Rigiberg-Massives. Gegen Osten hin wird Seewen begrenzt vom Nachbardorf Ibach sowie dem Flecken Schwyz und in nördlicher Richtung vom Haggenberg und dem Engelstock. Gegen Westen bilden das Stauffacherdorf Steinen und das dem See den Namen gebende Dorf Lauerz die Nachbarschaft. Das voralpine Klima prägt die Witterungsverhältnisse in der Region. Der tiefste Messpunkt – der Seespiegel – liegt auf rund 445 m.ü.M, der höchste oben in der Nähe des Engelstocks auf gut 1200 m.ü.M.

Seewen – älter als die Eidgenossenschaft

Stolz ist Seewen auf seine über 800-jährige Geschichte (Abb. 4). Es ist somit älter als die Eidgenossenschaft. Denn erstmals urkundlich erwähnt wurde es in einem Einsiedler Urbar im Jahre 1217. Die Nachfahren der Geschlechter ‚de Sewa’ und ‚von Sewa’ dürften bei der Gründung der Eidgenossenschaft im Jahre 1291 bestimmt auch eine Rolle gespielt haben, waren die ‚von Sewa’ geachtete Leute… Heute ist das Geschlecht der ‚von Sewa’ längst ausgestorben.

Seewen – politisch von Schwyz regiert
„Sewa“, wie Seewen auf althochdeutsch geschrieben wurde, ist heute ein Teil der politischen Gemeinde Schwyz, welche die Orte Schwyz, Ibach, Seewen und Rickenbach sowie die Weiler Ried/ob Schwyz, Aufiberg/ob Rickenbach, Schönenbuch/ob Ibach und Engiberg/Kaltbach bei Seewen umfasst. Seewen zählt heute knapp 3’000, die ganze politische Gemeinde etwa 14500 Einwohner. Haushaltungen gibt es in „Seebä“ – so wird das Dorf im Dialekt ausgesprochen – etwa 1400. „Regiert“ wird die ‚Filiale’, wie sie auch genannt wird, vom neun Mitglieder zählenden Gemeinderat Schwyz. In dessen Reihen sitzt leider aber kein Seebner Vertreter, was eine Grosszahl der Bevölkerung als Nachteil empfindet.

Seewen – seine Entwicklung
Drei namhafte Entwicklungsschübe hat das Dorf am Lauerzer See seit dessen erstmaliger Erwähnung mitgemacht: im Mittelalter – um 1450 – wurde die erste Kapelle gebaut. Ab 1500 begannen die ersten Wallfahrten zum Gnadenbild „Unserer Lieben Frau von Seewen“, das ‚Wallfahrtszeitalter’ nahm seinen Anfang. Der Legende nach wollte eine Frau aus den Niederlanden das Muttergottesbild aus den Reformationswirren nach Einsiedeln retten. Auf der Seewener Allmend ruhte sie aus und konnte das Bild nicht mehr weiter tragen, bis man sich entschloss, es in die nahe Kapelle zu überbringen. Seewen hatte daher jahrzehntelang eigentliche ‚Pilgerzüge’. Auch liegt es bekanntlich am St. Jakobsweg.

Marienkapelle Seewen

Den zweiten grossen Entwicklungsschub erlebte Seewen von etwa 1700 bis 1900. Es war die Zeit, als europaweit die ‚Badekuren’ ihren Aufschwung nahmen und das ‚Badezeitalter’ Einkommen brachte. Einige grössere Hotels wurden errichtet, Persönlichkeiten aller Herren Länder pilgerten nach ‚Bad Seewen’ zur Kur. Das ‚Pauschalarrangement’ umfasste Badekuren (in kalten, stark mineralhaltigen Wassern), Luftkuren (!) und auch Trink-Kuren. Populär war damals das Molke-Getränk, das zur Entschlackung der Körper diente.

Seewen Bad 2  Seewen Bad

Der dritte grosse Aufschwung brachte dem Schwyzer der Bau der Gotthardbahn. Weil die Gelder für den Bau der Bahnlinie Nord-Süd schon damals sehr knapp waren, reichten die Mittel nicht für die Linienführung via Hauptort Schwyz. Die projektierte Bahn nahm den ‚kürzesten’ Weg durch den Talkessel von Schwyz – durch Seewen. Mit der Eröffnung der Gotthardbahn im Jahre 1882 kam der Anschluss an die grosse weite Welt. Das ‚Industriezeitalter’ (Abb. 9) wurde eingeläutet. Zahlreiche mittelgrosse und grosse Unternehmen siedelten sich entlang der Bahnlinie an. Die schnaubenden Dampflokomotiven und die lauten Züge versetzten der Bäderepoche den Todesstoss. Behauptet hat sich einzig die Badetradition im See, im Speziellen in der 1853 gegründeten Seebad-Anlage.

Heute hat sich die industrielle Entwicklung des ehemaligen Fischer- und Bauerndorfes fortgesetzt. In den vergangenen 100 Jahren ‚explodierte’ das Dorf förmlich. Der Bund realisierte auf Seewner Hoheitsgebiet das zweitgrösste Versorgungszeughaus der Schweiz. In seinen ‚besten Jahren’ – während des 2. Weltkrieges – beschäftigte dieses weit über 200 Menschen. Auch andere Unternehmungen haben die seit jeher verkehrstechnisch gute Lage Seewens entdeckt und dazu benutzt, Fuss zu fassen. So beispielsweise einige der grösseren Seebner Unternehmungen:

– die über 300 Jahre junge Firma St. Jakobskellerei Schuler & Co AG Weinhandel
– die Kunsthonigfabrik Max Felchlin, die sich 1908 in Seewen niederliess und heute zu den renommiertesten Schokoladeproduzenten der Schweiz zählt (im Jahr 2000 zügelte sie zwar nach Ibach)
– die Celfa/Folex AG, Produzentin von Folien aller Art
– die Arthur Weber Stahl AG, Handelsunternehmung
– die Firma Schlittler und Co, ehemals eine Metallwarenfabrik, heute eine Handelsunternehmung für allerlei Dekorationsartikel
– die Senn Transporte AG
– die Garage Kiener AG (Nutzfahrzeuge)
– die Schaukäserei Schwyzerland (seit 1.8.1991)
– die Firma Käppeli Strassenbau AG
– die Strüby Holzbau AG
– und andere mehr.

Aber auch grössere Dienstleistungsunternehmen haben sich in Seewen angesiedelt. So etwa:
– die Stiftung BSZ (Behindertenbetriebe Schwyz, Abb. 12) mit Produktionsstätten und Wohnheim
– die LANDI der landwirtschaftlichen Genossenschaft und
– seit Oktober 2004 das 14’000 qm-grosse Einkaufszentrum ‚seewen markt’ der Coop-Gruppe.
Grössere Neuzuzüge ins ‚Tor zu Schwyz’ (gemeint ist natürlich Seewen) stehen unmittelbar bevor.

Seewen – das Leben heute
Mit der industriellen Entwicklung des Dorfes einher geht das Bevölkerungswachstum. 1888 noch zählte Seewen 450 Einwohner, per 2004 schon 6 ½-mal mehr, nämlich 2920. Das erste Schulhaus  wurde 1897 neben der Kapelle erbaut, das zweite im Gebiet Krummfeld im Jahre 1969. Insgesamt wird heute in Seewen in 14 Klassen (Abb. 14) – ohne Oberstufe – unterrichtet. Die Oberstufenschüler gehen in Ibach und Schwyz zur Schule.

Auch die Pfarreigemeinde wuchs. Am 8. Dezember 1961 konnte – zur Entlastung der Kapelle – die neue Pfarrkirche für die grossmehrheitlich katholische Bevölkerung Seewens eingeweiht werden. Das kulturelle Leben in Dorf wickelt sich in 33 Dorfvereinen und über 20 kleineren und grösseren, bekannten und weniger bekannten Gastrobetrieben ab.

Sportliche Ertüchtigung bieten im Sommer die Seebad-Anlage (Abb. 16) am Lauerzersee, die zu den grössten und schönsten der Innerschweiz zählt. Generell lockt als Naherholungsgebiet der nahe See; hunderte von Velo- und Bikefahrern verweilen stundenlang an dessen Gestaden. Oder dann lädt der Urmiberg zu ausgiebigen Wanderungen auf das Rigimassiv ein. Im Winter ist das Eisstadion Zingel (Abb. 17) eine ideale Alternative zum Treiben im Schnee auf den nahen Höhen wie Stoos, Ybergeregg, Hochstuckli oder Rigi.

Seewen – Namen und Notizen
Noch einige Bemerkungen zu Namen und Persönlichkeiten aus unserem Dorf: Da gilt es zu erwähnen, dass Seewen schon allerlei ‚Berühmtheiten’ hervorgebracht hat. So beispielsweise:

– den Gründer der Schindler Aufzüge, Alfred Schindler, der in Seewen seine ersten ‚Liftfahrtsversuche’ getätigt hat
– den Kunstmaler André Schindler, der anfangs des 20. Jahrhunderts zahlreiche öffentliche Gebäude (u.a. Kirchen und Kapellen ebenso wie die unter Schutz stehende alte Posthalle in Schwyz) mit grossflächigen Malereien verschönerte
– den Kabarettisten Emil (Emil Steinberger), der seine familiären Wurzeln ebenfalls in Seewen hat
– Kantonsgerichtspräsident Dominik Auf der Maur, der 1965 zum Vorsitzenden des ‚Stöckli’ in Bern wurde
– alt Nationalrat Karl Weber mit Jahrgang 1935, der 1979 in den Rat der 200 nach Bern gewählt wurde
– Beatrice (genannt Bea) Aschwanden, die 1975 den Titel ‚Miss Schweiz’ erhielt
– die Kranzschwinger-Brüder Auf der Maur aus dem Dorfteil Engiberg, die in den 1990er Jahren die ‚Bösen’ das Fürchten lernten
– und viele andere.

Kurzum, Seewen (Abb. 19) ist ein Dorf wie zahlreiche andere in der Schweiz auch.
Es lebt sich ganz gut darin, wenn man versteht, die Schönheiten über die Schattenseiten zu stellen. Doch hebt es sich dennoch in einigen kleinen Details von andern ab:

Seewen – seine kleinen Besonderheiten
Erwähnenswert sind beispielsweise, dass…

– die Sonnenuntergänge im Sommer in keinem andern Innerschwyzer Dorf schöner sind als in Seewen, an den Gestaden des Sees
– der Bahnhof mit SCHWYZ angeschrieben ist, obwohl er mitten in Seewen steht
– das Dorf heute noch ganze zwei Schützenhäuser (300m-Anlagen) in Betrieb hat; jene im ‚Chämiloch’ und jene in der ‚Burg’
– Seewen als einziger Ort auf der Alpen-Nordseite einen Seeausfluss in südliche Richtung sein eigen nennen kann (Leider aber ist der sehr stark verbaut)
– im Turm der Alten Kapelle das einzige mechanisch-angetriebene Uhrwerk im Kanton Schwyz steht. Alle andern Kirchturmuhren werden elektronisch gesteuert
– die weltgrösste im ‚Buch der Rekorde’ eingetragene Milchkanne auf dem Areal der ‚Schaukäserei Schwyzerland’ steht
– vor dem Gasthaus ‚Kreuz’ das letzte Telefon-Relikt aus dem Beginn des Industriezeitalter zu bestaunen ist, nämlich ein wunderschön-restaurierter Telefonmast aus dem Jahre 1910 mit 48 weissen Isolatoren, genannt ‚Glöckli’ und einem schön gegossenen Spitz. Dieser 9 Meter hohe Telefonmast sieht fast aus wie der Eiffel-Turm in Paris und ist der letzte in der ganzen Schweiz
– der lokale Eishockeyclub seit anfangs der 80er Jahre regelmässig das weltgrösste Plausch-Hocheyturnier mit jeweils um die 100 Mannschaften (Rekord 1997: 127 Mannschaften) durchführt. Dieser Rekord ist ebenfalls im Guinness-Buch der Rekorde verewigt
– …und es aktenkundig ist, dass in Seewen noch niemals jemand verdurstet ist!

Text: Peter Rickenbacher (alt-Präsident 2002-2006)